Auch an den Beginn dieser Geschichte muss die Erkenntnis gestellt werden, dass die Probleme bei der Erziehung eines Jagdhundes in der Regel am anderen Ende der Leine und nicht beim Hund liegen. Die erfahrenen Hundeführer und versierten Abrichter mögen deshalb bitte mit dem Autor Nachsicht walten lassen.
2015 habe ich mich entschlossen, unserer Hundemeute, bestehend aus der achtjährigen WT-Hündin Dusty und dem sechzehnjährigen Dackelrüden Lümmel, einen Westfalenterrier-Welpen hinzuzufügen. Ein Rüde sollte es sein, von stattlicher Statur und ritterlichem Geblüt, was bei der Namensgebung ausschlaggebend war. Wegen des Vaters Enno von der Borg fiel die Auswahl auf Artus vom 3 Herrenstein und das erste Handicap war angelegt, da ich den kleinen Mann aufgrund persönlicher Umstände erst mit 12 Wochen übernehmen konnte, vier wertvolle Wochen in der Prägephase waren verloren. Bis dahin hatte er eine unbeschwerte Jugend, fixiert auf sein familiäres Rudel aus Mutter, Vater, Tante und Schwester und musste sich jetzt in ein Rudel integrieren, mit einer „Stiefmutter“, die den Umgang mit fremden Hunden meidet und einem Senior, der als Spielkamerad ausfiel und entsprechende Versuche, ihn zum Spiel aufzufordern, wie etwa das Ziehen an der Rute, von Herrchen und Frauchen energisch unterbunden wurden.
Von der Hundetrainerin in der Welpenschule kam der Tipp, ich solle ihn allein mit in mein Forstamtbüro nehmen, um ihn mehr auf mich zu prägen. Ein echter Fehler, wie sich noch herausstellen sollte. In der Welpenschule sind Herr und Hund gleich als schwer erziehbar aufgefallen, da der kleine Artus in Gegenwart seiner Mitschüler (Labrador, Münsterländer, Königspudel, Langhaar, Kopowbracke) nicht das geringste Interesse an Leckerlies zeigte, mit deren Hilfe die kleinen Azubis auf bestimmte Verhaltensweisen des Grundgehorsams konditioniert werden sollten. Statt nach Geflügelwurst oder Käsehappen zu schnappen hat er die ganze Zeit die farblich gut zu ihm passende Pudeldame fixiert und mir signalisiert, dass er die viel lieber „vernaschen“ würde. Wenn am Ende der Unterrichtsstunde Toben angesagt war, ist der kleine Mann zu Hochform aufgelaufen und wer sich nicht zu wehren wusste, der wurde kreuz und quer über den Platz gejagt. Dabei wurde sich schon mal im Behang des Langhaars festgebissen, was eine klammheimliche Freude beim Herrchen ausgelöst hat, allerdings die Trainerin einschreiten ließ. Insgesamt hat Artus aber von gleichwertigen oder überlegenen Hunden gelernt, dass es Grenzen gibt und ist jetzt im Umgang mit anderen Hunden völlig entspannt. Das Klassenziel Grundgehorsam haben wir mit umfangreicher Nachhilfe in heimischer Umgebung ohne Ablenkung auch erreicht.
Die Katastrophe ist über uns hereingebrochen, als ich meinen Artus nach einer viertägigen Fortbildungsreise ohne Vorbereitung zu unserer Hündin in den Garten gelassen habe. Aus dem Stand haben die beiden sich eine Beißerei geliefert, bei der es nach meiner Einschätzung um Leben und Tod ging. Fortan brauchten sie sich nur mit Blicken begegnen, um erneut übereinander herzufallen. Wir mussten sie völlig trennen, eine Glastür im Haus mit undurchsichtiger Folie abkleben, um weiteres Aggressionsverhalten zu verhindern. Ich erkläre mir dieses Verhalten als Kampf um den Platz im Rudel, dessen Hierarchie durch die einseitige Bevorzugung von Artus von mir fahrlässig ausgelöst wurde. Durch ein sorgfältig abgestimmtes Antiaggressionstraining ist es uns gelungen, die Rangordnung wieder herzustellen und zu einem unkomplizierten Zusammenleben zurückzukehren. Ich bin der Chef, Artus lässt seine Stiefmutter in Ruhe und tanzt er sie doch einmal an, rufen wir ihn ab oder er reagiert schon auf die abweisenden Signale der Dusty. Unser Lümmel ist zwischenzeitlich mit 18 Jahren verstorben.
Nach dem Besuch der Welpenschule stand im Herbst des letzten Jahres die Vorbereitung der Brauchbarkeitsprüfung an, für die wir uns dem Lehrgang der der Kreisgruppe Stade des JGHV angeschlossen haben. Der kleine Ritter hat von Anfang an Eindruck gemacht, durch sein Aussehen, sein Wesen und seine Arbeit, da er die gleichen Aufgaben meisterte wie die großen Vorstehhunde. Allerdings hatte der kleine Rüpel dabei so seine Eigenarten, die den Führerstolz in pure Verzweiflung umwandelten. Wenn in Gruppen gearbeitet wurde, ist er dermaßen hochgefahren, dass ich ihn praktisch nicht mehr erreichen konnte oder richtig Gewalt hätte anwenden müssen, was mir nicht liegt. Die zweite Besonderheit war, dass er die Arbeiten in der Reihenfolge ausführte, wie er es für sinnvoll hielt. Das konnte bedeuten: Zum Entenapport ins Wasser geschickt, ist er kurzerhand wieder ausgestiegen, um die Schleppe zu arbeiten, deren Legen oder nur den Abtransport des Schleppenwildes er beobachtet hatte. Auf der Schleppe angesetzt ist er nach wenigen Metern kurzerhand abgebogen, um den Vorstehhunden beim Bringen von Federwild durch ein Fließgewässer zu helfen. Kann man einem potentiellen Stöberhund, zum selbstständigen Jagen geboren, ernsthaft übelnehmen, wenn er seine Arbeit mit großer Selbstständigkeit erledigt?
Aufgegeben habe ich meine Bemühungen, als mir bedeutet wurde, dass ich die Ausbildung gerne mitmachen dürfte, an der Prüfung aber selbst als Terriermischling nicht teilnehmen könnte, da ich der Landesgruppenleiter Niedersachsen der Westfalenterrier sei und damit Artus einem dissidenten Verein angehörte. Bei Prüfung solcher Hunde riskierten die JGHV-Richter ihre Zulassung. Es ist an dieser Stelle müßig darüber zu philosophieren, ob dies einer gerichtlichen Nachprüfung standgehalten hätte, geholfen hätte es in der konkreten Situation auch bei guten Erfolgsaussichten nicht.
Zwischenzeitlich hat der kleine Ritter an einer abgespeckten Anlagenprüfung ohne Bauprüfung teilgenommen, wo mich ein Teil seiner gezeigten Leistungen vollständig mit ihm versöhnt haben, Wasser 4h, Gehorsam, Führigkeit 4!
Im September 2017 habe ich ihn ganz offiziell als Rasse Westfalenterrier, mit Zuchtbuchnummer auf einer Brauchbarkeitsprüfung der Landesjägerschaft Niedersachsen geführt! Alle geforderten Arbeiten: Gehorsam, Schussfestigkeit, Stöbern (laut, planmäßig, ohne weites Übejagen), Anschneideprüfung, hat er trotz widrigsten Wetters bei strömendem Regen mit Bravour gemeistert und ist in meiner Wertschätzung endgültig zum Ritter avanciert!
Inzwischen hat Artus das in den Prüfungen Bewiesene auf vielen Jagden in verschiedenen Bundesländern auf Rehwild, Damwild, Schwarzwild und Rotwild gezeigt und dabei viele neue Freunde für sich und die Rasse Westfalenterrier – auch unter Nicht-Jägern – gewonnen.
© 2019 Dr. Otto Fricke (7.1.2019)